Blog · 07.02.2024 · Julia Straub

Alles neu macht der Jahresstart?

Alles neu macht der Jahresstart?

Neues Jahr, neue Ziele. Dieser Logik folgen viele Unternehmen – aber längst nicht alle. Einige finden Ziele gänzlich unnötig. Sie argumentieren, Ziele schränken ihre Flexibilität ein, etwa beim Umgang mit Unvorhersehbarem. Mit dem gleichen Argument plädieren andere für die alleinige Ausrichtung an einer Langfrist-Vision im Sinne von „In X Jahren sind wir Marktführer für Y“. Mehr als die große Vision brauche es nicht. Und wieder andere formulieren mit viel Aufwand und Akribie strategische Ziele, machen am Ende dann aber doch alles anders. „Der Fokus hat sich verschoben“, so ihre Begründung. Wozu sollte man sich als Organisation also Ziele setzen – und vor allem: wie?

Ziele stiften Orientierung und Motivation

So viel vorweg: Wir sind klare Befürworter von einer gemeinsamen Ausrichtung und strategischen Zielen. Bei unserem covolution-Strategy Retreat zum Jahresstart schauen wir als Team auf das vergangene Jahr zurück, reflektieren Erfolge und Misserfolge, und diskutieren, was uns im neuen Jahr wichtig ist.

Aus dieser Reflexion reifen unsere Team-Ziele für das neue Jahr. Unser Austausch ist dabei genauso wichtig wie das Ergebnis: Wir sprechen über die Themen, die uns bewegen, über Hoffnungen, die wir mit Zielen verbinden, über realistische Ambitionen und die Frage, was für uns Priorität hat. Diese Gespräche sind intensiv und am Ende sind wir (bislang) jedes Mal gestärkt auseinander gegangen, mit geschärftem Blick und der Motivation, loszulegen.

Gemeinsame Ziele bieten unter anderem diese Vorteile:

  • Startpunkt: Wer über Ziele spricht, spricht fast automatisch auch darüber, wo er*sie steht. Über Erreichtes und Nicht-Erreichtes, über Stärken und Schwächen. Die Verständigung auf das, was ist, verbindet. Sie schafft einen gemeinsamen Startpunkt als Basis für den weiteren Weg.
  • Ausrichtung: Der Austausch über Ziele stärkt die Ausrichtung in der Organisation, weil jede*r verstehen kann, wohin sich das Unternehmen entwickeln möchte. Das ist die Voraussetzung dafür, dass der*die Einzelne den Weg bewusst mitgehen (Commitment) und sich sinnvoll einbringen kann (Engagement).
  • Ressourcenplanung: Ziele helfen dabei, frühzeitig zu erkennen, wo in der Organisation besonders viel Arbeit anfallen wird. Sie erleichtern die Ressourcenplanung entlang der Relevanz und Dringlichkeit von Themen – und nicht entlang des Prinzips „first come, first serve“. Das erhöht die Effektivität und die Wahrscheinlichkeit, dass die wichtigen Themen voran kommen.
  • Fokus: Greifbare Ziele ermöglichen dem*der Einzelnen, im eigenen Umfeld klare Prioritäten zu setzen und eigenständig gute Entscheidungen im Sinne der Zielerreichung zu treffen. So entsteht Gestaltungsraum – ein wesentlicher Erfolgsfaktor, um insbesondere in trubeligen Zeiten reaktionsfähig zu bleiben.
  • Motivation: Ziele motivieren Menschen, weil sie eine Brücke in die Zukunft bauen. Sie geben der eigenen Arbeit eine Richtung und dem persönlichen Engagement Sinn. Sie sind Ansporn, neue Ideen und Lösungen zu entwickeln und fördern kreatives Denken.
  • Erfolgserlebnisse: Wer sich Ziele gemeinsam setzt, kann auch Fortschritte und Erfolge gemeinsam erkennen und feiern. Weil es einen gemeinsamen Maßstab gibt – statt vieler individueller Referenzpunkte. Gemeinsame Erfolge sind wichtig für den Zusammenhalt und die Motivation.
  • Hürden: Beim Nachhalten von Fortschritten wird auch sichtbar, welche Ziele nicht oder nicht vollständig erreicht werden. Das ist wertvoll, denn so werden Hindernisse und Herausforderungen besprechbar, frühzeitiges Reagieren wird möglich und die Organisation lernt für den nächsten Zyklus.

Es gibt also viele gute Gründe, die dafür sprechen, strategische Ziele zu formulieren. Aber nicht jedes Ziel ist gleichermaßen wirksam. Denn die Formulierung spielt durchaus eine wichtige Rolle.

Ziele müssen sinnvoll formuliert sein

Damit Ziele die oben beschriebene Wirkung entfalten können, müssen sie sinnvoll formuliert sein. Es gibt diverse Methoden und Modelle für die Formulierung von Zielen: Ob SMART (Specific, Measureable, Achievable, Relevant, Time-bound) oder CLEAR (Collaborative, Limited, Emotional, Appreciable, Refinable) oder ganze Zielsysteme wie OKR (Objectives und Key Results). Die Auswahl des passenden Modells hängt von den Anforderungen und der Kultur des Unternehmens ab. Es ist zum Beispiel nicht sinnvoll, in einem sehr hierarchischen System, in dem Entscheidungen vor allem top-down getroffen werden, ein Modell wie OKRs einzuführen, das auf Transparenz und Beteiligung basiert. Es sei denn, die Ziel-Entwicklung soll bewusst eine kulturelle Transformation im Unternehmen einleiten.

Egal, welches Modell zugrunde liegt: Gute Ziel-Formulierungen haben einiges gemeinsam. Folgende acht Eigenschaften machen für uns ein gutes Ziel aus:

  • Eindeutig: Ein gutes Ziel ist so formuliert, dass jede*r, die*der es liest, auf Anhieb versteht, was erreicht werden soll. Lange und komplex formulierte Ziele kann sich niemand merken. Zudem sind sie nicht prägnant genug, um Orientierung zu schaffen.
  • Relevant: Ein Ziel muss relevant sein, im Sinne von „für die Organisation bedeutungsvoll“. Relevant ist, was einen Unterschied macht. Wenn ein Ziel also keinerlei Resonanz erfährt – weder Begeisterungsstürme noch hochgezogene Augenbraunen – dann ist es wohl wenig relevant.
  • Differenziert: Ein gutes Ziel ist so formuliert, dass es weder eine Dauerziel ist („Wir sind divers.“) noch ein No-Brainer („Wir sind für unsere Kunden erreichbar.“). Beide Beispiele sind nicht differenziert, weder zeitlich noch inhaltlich.
  • Motivierend: Nicht alles, was einen Unterschied macht, ist auch motivierend. Vor allem Ziel-Systeme, die nur aus Kennzahlen* bestehen, wirken auf die wenigsten Menschen motivierend, weil sie unser limbisches System nicht aktivieren – es entsteht kein Bild davon, was zu tun ist und wofür (Sinn!).
  • Machbar: Ein starkes Ziel sollte herausfordernd sein und gleichzeitig realistisch und durch eigenes Tun erreichbar. Wenn Ziele zu ambitioniert formuliert sind (sogenannte “Moonshot-Goals”) wirken sie je nach Kultur demotivierend, weil klar ist, dass sie nicht erreichbar sind.
  • Konsistent: Jedes Ziel muss konsistent zur strategischen Ausrichtung des Unternehmens sein, unabhängig davon, wie diese beschrieben ist. Ob Purpose, Vision oder Gesamt-Strategie – ein Ziel muss einen Beitrag zum Gesamterfolg leisten. Das klingt banal, ist aber leider nicht immer der Fall.
  • Messbar: Es sollte möglich sein, Fortschritte auf dem Weg sowie die letztliche Ziel-Erreichung feststellen zu können – quantitativ oder qualitativ. Kontinuierliche Fortschrittsmessung ist dabei sinnvoller (“Lead Measures”) als reine Erfolgsmessung am Ende des Jahres (“Lag Measures”). Denn jeder Fortschritt motiviert und fördert Wirksamkeit und Leistungsfähigkeit. Umgekehrt verlangen mangelnde Fortschritte konsequentes Handeln.
  • Getaktet: Ein Ziel braucht eine Frist für seine Erreichung. Diese hilft dabei, das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Es ist hilfreich, wenn ein Ziele-Set zu einem fixen Datum vollständig fällig wird. Das erleichtert es der Organisation, in einem Rhythmus zu bleiben und z. B. den Einsatz von Ressourcen sinnvoll abzustimmen.

Auf den richtigen Zyklus kommt es an

Die obenstehende Liste an Eigenschaften guter Ziele ist natürlich nicht abschließend. Die meisten Unternehmen entwickeln im Laufe der Zeit ein gutes Gefühl dafür, welche Eigenschaften von Zielen für sie besonders wichtig sind. Das gleiche gilt auch für den passenden Zyklus: Ob Ziele jährlich, quartalsweise oder alle 14 Tage neu definiert werden, hängt von der Geschwindigkeit des eigenen Geschäfts ab.

Der Zyklus sollte so gewählt werden, dass die Ziele Orientierung bieten und wesentliche Erfolge markieren. Ziele, die zu kleinteilig sind, werden nicht dem Anspruch gerecht, richtungsweisend zu sein, weil sie eher Action-Items gleichen als strategischen Entscheidungen. Ziele, die zu weitläufig sind und sich über Jahre ausdehnen, sind in der Regel nicht hilfreich, um gute Priorisierungsentscheidungen im Alltag zu treffen, Ressourcen sinnvoll zu planen oder Fortschritte spürbar zu machen. Die Frage ist also auch: Welche Hoffnungen sind mit Zielen verknüpft – was sollen sie für das jeweilige Unternehmen leisten?

Bei covolution arbeiten wir mit einer Kombination aus Mittelfrist-Ambitionen, Jahreszielen und einer Quartalsplanung. Wie sieht das konkret aus?

Wir nutzen folgende Elemente:

  • Mittelfrist-Ambitionen: Wir haben drei Ambitionen formuliert, die qualitativ die wichtigsten mittelfristigen Entwicklungsziele für unser Unternehmen beschreiben. Der Zeithorizont für die Ambitionen beträgt bei uns drei Jahre – ein Zeitraum, den wir uns vorstellen, aber keinesweg vorausplanen können.
  • Jahresziele: Jedes Jahr entwickeln wir ein Set von drei bis vier Jahreszielen, die qualitativ formuliert sind und mit Indikatoren für die Erfolgsmessung hinterlegt sind. Hier orientieren wir uns an der Logik von OKRs, wenden die Methode aber nicht lehrbuchmäßig an. Unsere Indikatoren helfen uns, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, wann ein Ziel erreicht ist – es sind aber nicht alle Indikatoren quantitativ formuliert.
  • Quartalsplanung: Einmal pro Quartal legen wir die Schwerpunkte für die kommenden drei Monate fest. Hier sind wir eher operativ unterwegs. Dabei fragen wir uns: Welchen Beitrag zu den Jahreszielen nehmen wir uns für das aktuelle Quartal vor? Was ist jetzt wichtig und der nächste gute Schritt? Und: Was ist (aktuell) machbar? Wir schneiden das Ziel quasi in Stücke und vereinbaren konkrete Aktivitäten, die unsere Circles (wir sind eine Kreisorganisation) erbringen.

Über allen Elementen steht unser Purpose als Anspruch, was wir in die Welt bringen möchten. Alles, was wir tun, ist nicht nur konsistent mit dem Purpose verbunden, sondern hilft uns, diesen lebendig werden zu lassen.

Ziele brauchen Verbindlichkeit

Damit Ziele Wirkung entfalten, ist für uns eine weitere Sache entscheidend: Sie müssen verbindlich sein. Das bedeutet, dass sie Priorität haben gegenüber anderen Ideen und Themen und dass sie so lange Bestand haben, wie sich die Ausgangslage nicht grundlegend verändert. In vielen großen Organisation erleben wir immer wieder, dass Ziele mit viel Aufwand formuliert werden und dann Monat für Monat immer weiter in den Hintergrund rücken. Und das nicht, weil Mitarbeiter*innen sie ignorieren, sondern weil Vorstände, Geschäftsführer*innen und andere Personen mit hierarchischer Macht immer wieder neue Schwerpunkte setzen. Getreu dem Motto: „Das ist jetzt auch wichtig.”

Das Ergebnis ist nicht nur, dass das Ziel-System ad absurdum geführt wird. Vor allem entsteht Frust, weil die Orientierung verloren geht. Niemand (außer der Menschen an der Spitze) weiß noch, was wichtig ist, geschweige denn, welche Prioritäten zählen. Dezentrales Entscheiden wird unmöglich und die Menschen in der Organisation laufen in die Überlastungsfalle, weil die Ressourcenplanung nur noch auf dem Papier aufgeht. All das Potential, das Ziele haben, ist dann dahin. Und die Begeisterung, Ziele zu formulieren, gleich mit.

Sind Ziele also sinnvoll? Aus unserer Sicht auf jeden Fall – vorausgesetzt, ihr seid bereit, um gute Ziele miteinander zu ringen und mit jeder Entscheidung für ein Ziel ein anderes mögliches Thema hintenanzustellen. Denn dann können Ziele ein echter Entwicklungsmotor für die Organisation und ihre Menschen werden.


* Anmerkung: In vielen Organisation werden Ziele gleichgesetzt mit Kennzahlen. Zum Beispiel: „Unser Ziel ist ein jährliches Wachstum von 10 Prozent“. Oder: „Unser Ziel ist eine Fluktuationsquote von X Prozent“. In unserem Verständnis sind beide Beispiele keine guten Ziele. Sowohl Wachstum als auch eine niedrige Fluktuationsquote sind das Ergebnis von Handeln. Aber keine sinnstiftenden Ziele.

  • Ein Ziel lenkt den Fokus auf ein Themenfeld und sagt, was in diesem Feld erreicht werden soll.
  • Eine Kennzahl misst, ob das Unternehmen wirtschaftlich on track ist.

Beides ist wichtig, aber nicht zu verwechseln. Ziele unterstützen die Entwicklung des Unternehmens entlang einer Strategie; Kennzahlen messen, ob Leistungsindikatoren erfüllt werden. Wichtig ist die Verbindung von Zielen und Kennzahlen, um eine sinn- und wertstiftende Weiterentwicklung zu ermöglichen. Die Frage wäre also: Welche (strategischen) Ziele führen dazu, dass wir eine Fluktuationsrate bei x Prozent erreichen? Welche Richtungsentscheidungen treffen wir dafür?