Blog · 21.07.2021 · Sören Krüger

Hybride Arbeit: Wie Sie es vermeiden, aus der vermeintlichen Wunderwaffe einen zahnlosen Tiger zu machen

Hybride Arbeit: Wie Sie es vermeiden, aus der vermeintlichen Wunderwaffe einen zahnlosen Tiger zu machen

Deutschlands Unternehmen bereiten sich auf die Rückkehr Ihrer Mitarbeiter*innen ins Büro vor. Nach der Pandemie soll alles möglich sein: Mit der Wunderwaffe „Hybrides Arbeiten“ werden die Vorzüge flexibler mobiler und virtueller Arbeit ganz einfach mit den Vorteilen der Präsenzkultur verzahnt. Schnell sind technische Lösungen gefunden, die das möglich machen. Allerdings kommt in den Diskussionen zu hybridem Arbeiten ein Aspekt oft zu kurz: Mit hybriden Arbeitsweisen verändern sich auch die Anforderungen an Zusammenarbeit. Welche Aspekte Sie dabei in den Blick nehmen sollten, erläutern wir in diesem Artikel.

Das Hype-Thema „Hybrides Arbeiten“ vernachlässigt Fragen der Zusammenarbeit

Der Wegfall der Home-Office-Pflicht, Impffortschritt und niedrige Inzidenzen in Deutschland führen dazu, dass sich viele Unternehmen auf die Rückkehr ihrer Mitarbeiter*innen ins Büro vorbereiten. Und doch soll Arbeiten nach Corona anders sein als vor der Pandemie: Das „New Normal“ soll das Beste aus zwei Welten vereinen: das Miteinander der Präsenzkultur im Unternehmen, aber auch die Ruhe des Home-Office und die Flexibilität mobiler Arbeitskonzepte. Es soll Menschen dort zusammenbringen, wo kreatives Miteinander gefragt ist, und Ruhe ermöglichen, wo es die Aufgabe oder die persönlichen Lebensumstände erfordern. Ein Schlagwort, das in diesem Zusammenhang oft fällt, ist „Hybrides Arbeiten“. Der Begriff entwickelt sich langsam aber sicher zur Wunderwaffe und verspricht das perfekte Arbeitsmodell für die Zeit nach der Pandemie. Doch die Sache hat einen Haken — genau genommen sogar zwei:

Erstens fehlt ein einheitliches Begriffsverständnis. Während die einen unter hybridem Arbeiten die Kombination aus Arbeit im Büro und mobilem Arbeiten verstehen, definieren andere jeden Workshop, in dem einige Menschen zusammen in einem Raum sitzen und andere per Videokonferenz dazu geschaltet werden, als hybride Arbeit. Hans Rusinek versteht unter hybridem Arbeiten gar „Arbeiten jenseits des Erwerbs“. Dieses uneinheitliche Begriffsverständnis führt dazu, dass hybridem Arbeiten ein ähnliches Schicksal droht wie „New Work“ oder in Teilen auch „Purpose“ — nämlich, dass unter ihm alles und nichts verstanden wird und sich über kurz oder lang eine Art Ermüdungs- und Abnutzungseffekt einstellt, die mögliche Wirkung verpufft.

Der zweite Haken ist weitaus gravierender: In vielen Unternehmen dreht sich die Diskussion um hybrides Arbeiten aktuell vor allem um die Gestaltung angemessener Rahmenbedingungen sowie um das Finden passender technischer Lösungen: Was ist ein gutes Verhältnis zwischen Büro- und Home-Office-Tagen? Welche Raumkonzepte braucht es, damit hybrides Arbeiten gelingt? Welche Technik muss angeschafft werden? Diese Fragen haben ihre Berechtigung. Und dennoch führen sie nicht weit genug, weil sie einen Bogen um die Menschen und deren Zusammenarbeit machen.

Hybrides Arbeiten stellt die Zusammenarbeit vor neue Herausforderungen

Die Corona-Pandemie hat gezeigt: Wo Menschen nicht mehr gemeinsam an einem Ort zusammenarbeiten, wird die Zusammenarbeit vor neue Herausforderungen gestellt. Hybride Zusammenarbeit ist sogar noch anspruchsvoller: Wo Menschen teilweise an einem Ort, teilweise dezentral, teilweise zeitgleich, teilweise asynchron miteinander zusammenarbeiten sollen, treten neue Hürden auf oder verstärken sich bereits bekannte Herausforderungen: Informationen werden unterschiedlich geteilt, neue Beziehungsgeflechte entstehen, Nähe und Distanz gehen Hand in Hand. Teams und Organisationen müssen deshalb ihre Zusammenarbeit weiterentwickeln, um hybrid erfolgreich zu sein. Sechs Gedanken, welche Aspekte Sie dabei im Blick haben sollten:

Die gemeinsame Ausrichtung am „Wofür?“ schafft Orientierung

Wir haben in den vergangenen Monaten in vielen Unternehmen gehört, dass die Arbeit im Home-Office die Verantwortungsübernahme durch jede*n Einzelne*n gestärkt hat. In manchen Organisationen hat das dezentrale Arbeiten auch dazu geführt, dass mutige Schritte in Richtung Selbstorganisation gegangen wurden, weil Verantwortung delegiert und Leistungen am Ergebnis und weniger an der Präsenz vor Ort gemessen wurden. Damit Verantwortungsübernahme im Team wachsen kann, braucht es einen gemeinsamen Orientierungspunkt. Der Ausgangspunkt ist das gemeinsame Wofür im Team — der Team-Purpose: Wofür gibt es uns als Team und welchen Beitrag leisten wir für die Organisation? Ist diese Frage geklärt, kann jede/r seinen Gestaltungsspielraum nutzen und seinen besten Beitrag entlang seiner Rollen leisten.

Mit zunehmender Flexibilität stellt sich die Identitätsfrage neu

Das Arbeiten an einem Ort stärkt die Identitätsbildung. Eine Studie des Shift Collective zeigt, dass für viele Organisationen das Büro auch im hybriden Kontext weiterhin Ort der Identitätsbildung sein wird: Während die operative Arbeit künftig von zuhause erledigt wird, wird das Büro zum „Team & Creative Space“. Identitätsbildung als kollektiver Prozess braucht aber vor allem eins: ein Kollektiv. Um Identität im hybriden Arbeitsmodus zu stärken, braucht es eine bewusste Auseinandersetzung. Zentrale Fragen dabei sind: Was ist für uns als Team Identität stiftend, was zeichnet uns aus? Wie können wir das ausbauen?

Mitarbeiter*innen und Führungskräfte müssen Vertrauen neu verhandeln

Die bereits erwähnte Studie des Shift Collective (S. 18) zeigt: Die Remote-Arbeit aus dem Home Office nehmen viele Beschäftigte (48 %) als Chance für mehr Autonomie und Eigenverantwortlichkeit wahr — gleichzeitig gibt ein nicht unerheblicher Teil der Befragten auch an, das Gefühl zu haben, dass ihm*ihr im Home-Office weniger Vertrauen entgegen gebracht wird (bei kleinen Unternehmen mit 10 bis 49 Mitarbeiter*innen lag die Zahl bei 18 %). In neuen Arbeitskontexten ist Vertrauen essentiell, um schnell und dezentral Entscheidungen treffen zu können. Teammitglieder, die einander vertrauen, sind gewillter sich anzustrengen, sind bereiter anderen zu helfen und sind mit ihrer Tätigkeit zufriedener (Breuer et. al 2016). Eine Studie des Fraunhofer Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, die sich mit Führung im New Normal auseinandergesetzt hat, nennt Vertrauen als wichtigste Kompetenz für Führungskräfte in post-pandemischen Zeiten (S. 6f.). Dazu gehört auch, Kontrolle abzugeben. Ein oft angeführtes „Argument“ für Misstrauen ist die Sorge, dass mit der Arbeit im Home-Office die Produktivität leidet. Das IAO hat dies in einer weiteren kürzlich erschienen Studie für die Corona-Zeit widerlegt:

„51,2 Prozent [der Befragten] sagen, dass die Produktivität gleichgeblieben sei, bei 32,3 Prozent ist sie gestiegen und bei 6,5 Prozent sogar stark. Lediglich 9,7 Prozent sagen, dass sie hier geringe Einschränkungen bemerken, nur 0,5 Prozent bemerken starke Einschränkungen.“ (S. 2)

Um Vertrauen im hybriden Team zu fördern, benennt Nicole Bendaly drei Faktoren für Führungskräfte, die problemlos für das gesamte Team gelten können:

  1. Sich Zeit nehmen für den Austausch untereinander — und diese Zeitfenster schützen
  2. Kollaboration, Lernen, Beziehungspflege und Ausrichtung auf ein gemeinsames Ziel als zentrale Eckpfeiler der gemeinsamen Meetings
  3. Sicherstellen, dass die eigene Arbeit eine Bedeutung hat und einen Unterschied macht

„Blended Collaboration“ stellt den Prozess der Zusammenarbeit neu auf

Auch wir haben in den vergangenen Monaten die Chancen und Grenzen virtueller Zusammenarbeit erlebt. Viele Themen können im virtuellen Raum effizienter und ressourcensparender bearbeitet werden, Tools wie MIRO und Co. sorgen dafür, dass das sogar Spaß macht. Und gleichzeitig gibt es Formate, bei denen im Virtuellen etwas fehlt: Nähe und Verbindung. Zusammenarbeit im hybriden Kontext bedeutet, den Prozess der Zusammenarbeit so zu organisieren, dass virtuelle und analoge Formate sinnvoll miteinander verzahnt werden: Begegnungen in Präsenz für emotionale Themen und interaktive Aufgaben, virtuelle Formate für Planung, Strukturierung und Entscheidungen. Angelehnt an „Blended Learning“ nennen wir diese Zusammenarbeit „Blended Collaboration“. Den Prozess der Zusammenarbeit damit neu zu denken, ist herausfordernd, weil bewährte Logiken auf den Prüfstand gestellt werden — „Blended Collaboration“ verspricht aber auch, die Vorzüge aus analoger und virtueller Welt gewinnbringend miteinander zu vereinen — für bessere Ergebnisse, tiefgehende Erkenntnisse und Freude am Miteinander.

Individuelle und organisationale Resilienz sind zentraler Bestandteil guter Zusammenarbeit

Virtuelle Zusammenarbeit hat die Arbeitsbelastung in vielen Unternehmen verstärkt. In einer aktuellen Microsoft-Studie gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, sich überarbeitet zu fühlen, fast 40 Prozent fühlten sich erschöpft. Wo sich Online-Meeting an Online-Meeting reiht, bleibt wenig Raum fürs Luft holen. Hybride Zusammenarbeit wird Antworten darauf finden müssen, wie individuelle und organisationale Resilienz gestärkt werden können und gleichzeitig die Produktivität gesichert werden kann. Ein erster Schritt können klare Vereinbarungen sein, wie man als Organisation oder Team mit der vermeintlichen Allerreichbarkeit umgeht.

Führung baut Brücken zwischen den Räumen

Durch hybrides Arbeiten entstehen veränderte Führungsaufgaben, die je nach Verständnis von der klassischen Führungskraft oder einzelnen Teammitgliedern wahrgenommen werden können. Zum Beispiel ist das Herstellen der „Konnektivität“ zwischen den einzelnen Team-Mitglieder eine Aufgabe, die es im analogen Team auch bereits gab, die durch New Work Konzepte befeuert wurde und nun im hybriden Kontext noch wichtiger ist: Es geht darum, Beziehungen im Team und darüber hinaus aufrechtzuerhalten. Auch die Führungsaufgabe, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die Arbeitsfähigkeit des Teams sicherzustellen, entwickelt sich im hybriden Kontext weiter. Hier geht es nicht allein um technische Ausstattung, sondern auch um das Sichern des Informationsflusses zwischen einzelnen Teammitgliedern, das Schaffen hybrider Arbeitsprozesse oder auch das Freihalten von (Zeit)Räumen für die Reflexion der Zusammenarbeit.

Fazit: Teams müssen sich auf hybrides Zusammenarbeiten vorbereiten

Organisationen müssen bei der Gestaltung hybriden Arbeitens nicht nur Räume und Technik den neuen Begebenheiten anpassen, sondern auch ihre Zusammenarbeit weiterentwickeln. Die beleuchteten Aspekte zeigen erste Ansatzpunkte für Organisationen und Teams. Dabei gilt: Es gibt nicht die eine Lösung. Vielmehr geht es darum, dass Sie Ihren Weg finden. Ein erster Schritt könnte zum Beispiel ein Hybrid-Readiness-Workshop sein, in dem Sie mit unserer Hilfe herausfinden, wie gut Sie für hybrides Arbeiten aufgestellt sind und an welchen Stellen Sie sich als Team, Organisation oder Einzelner weiterentwickeln können. Wir freuen uns auf die gemeinsame Reise ins hybride Zeitalter! Sprechen Sie uns einfach an: office@covolution.eu!

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Quellen und weiterführende Informationen

Adecco Group (2020): Resetting Normal. https://www.adeccogroup.de/news/adecco-studie-mit-8-000-fach-fuehrungskraeften-die-arbeitswelt-wird-nach-corona-nie-mehr-dieselbe-sein/

Bogard, Travis (2021): 7 Tips for successfully managing a Hybrid work environment. https://travisbogard.medium.com/7-tips-for-successfully-managing-a-hybrid-work-environment-d1e3fa7c8a89

Breuer, C., Hüffmeier, J., & Hertel, G. (2016). Does trust matter more in virtual teams? A meta-analysis of trust and team effectiveness considering virtuality and documentation as moderators. Journal of Applied Psychology, 101(8), 1151–1177. https://doi.org/10.1037/apl0000113

Fraunhofer IAO (2021): Arbeiten in der Corona-Pandemie. Führung im neuen Normal. https://www.iao.fraunhofer.de/content/dam/iao/images/iao-news/arbeiten-in-der-corona-pandemie-folgeergebnisse-fuehrung.pdf

Fraunhofer IAO (2021): Arbeiten in der Corona-Pandemie. Leistung und Produktivität im „New Normal“. www.iao.fraunhofer.de/content/dam/iao/images/iao-news/arbeiten-in-der-corona-pandemie-folgeergebnisse-leistungen-produktivitaet.pdf

Microsoft (2021): 2021 Work Trend Index. https://www.microsoft.com/en-us/worklab/work-trend-index

Rusinek, Hans (2021): Hybrides Arbeiten als Zukunftsmodell. Wir sind mehr als unser Job. https://www.deutschlandfunkkultur.de/hybrides-arbeiten-als-zukunftsmodell-wir-sind-mehr-als.1005.de.html?dram:article_id=487343

Shift Collective (2021): The Future is Hybrid. https://uploads-ssl.webflow.com/5f3a40b5de1569ed3930bbdf/60587b634248d305dc4d721c_Shift-Collective_Hybrid-Work-Studie.pdf