Blog · 19.11.2018 · Sören Krüger

„Im Rahmen von ‚New Work‘ ist es nur konsequent, das Thema Vergütung neu zu denken.“

„Im Rahmen von ‚New Work‘ ist es nur konsequent, das Thema Vergütung neu zu denken.“

In unseren Projekten erleben wir oft, wie Menschen durch wirkungsvolle Formen der Zusammenarbeit Verantwortung für die Weiterentwicklung ihrer Organisation übernehmen. Mitarbeiter*innen werden zum „Intrapreneur“ — zu (Mit-)Unternehmer*innen im Unternehmen. Dann zeigt sich: Bestehende Ziel- und Anreizsysteme bremsen diese Entwicklung — oder verhindern gar die erfolgreiche Transformation der Organisation. Es ist an der Zeit für neue Ziel- und Anreizsysteme.

In unserer Reihe „covolution im Gespräch mit…“ hat Sören dieses Mal mit Sven Franke gesprochen, den wir aus gemeinsamen Projekten kennen und schätzen. Sven beschreibt sich selbst als „Anti-Berater“, ist Geschäftsführender Gesellschafter von CO:X, bekannt u.a. durch die AUGENHÖHE-Filme und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema „New Pay“.

Sven Franke ist “Anti-Berater” und Geschäftsführender Gesellschafter von CO:X. Bildquelle: Nils Hasenau

Sören Krüger: Lieber Sven, Du beschäftigst dich seit einiger Zeit mit der Frage, welche neuen Anreiz- und Zielsysteme es braucht, damit Menschen in Organisationen Verantwortung übernehmen. Wie bist Du zu diesem Thema gekommen?

Sven Franke: Für mich ist das Thema Anreiz- und Zielsysteme nicht so neu. Von 1996 bis 2011 war es mein berufliches Kernthema. Gemeinsam mit einem Kollegen verantwortete ich damals den Aufbau eines Mitarbeiterbeteiligungsprogramms in einem Konzern. Später wechselte ich zu einem Dienstleister, der unter anderem DAX-Unternehmen bei der Verwaltung ihrer Anreizsysteme unterstützte. Jetzt hat mich das Thema im Rahmen von „New Work“ erneut begeistert.

Durch die intensive Debatte um „New Work“ hat sich das Thema ja inhaltlich etwas gedreht: Wieso ist das Thema gerade jetzt für Organisationen so relevant?

Wir erleben zunehmend, dass sich Organisationen immer stärker verändern. Die klassische Aufbauorganisation, wie sie Taylor schon 1912 beschrieben hat, scheint ausgedient zu haben. Dennoch ist die gesamte Vergütung auf Basis dieses Rahmens aufgebaut. Es ist also nur konsequent, jetzt auch das Thema Vergütung neu zu denken.

Ihr sprecht in diesem Kontext von „New Pay“. Was versteckt sich hinter diesem Begriff?

Der Begriff ist eine neue Wortschöpfung, die wir (Stefanie Hornung, Nadine Nobile und ich) im letzten Jahr an einem Küchentisch in Tübingen kreiert haben. Wir diskutierten die Frage, welcher Aspekt im Rahmen der New-Work-Diskussionen nicht oder nur ganz selten thematisiert wird. Die Antwort war einfach: das Gesamtthema Vergütung — inklusive der Anreiz- und Zielsysteme. Im zweiten Schritt haben wir dann zu einer New-Pay-Blogparade aufgerufen. Die Resonanz mit 55 Beiträgen in 6 Wochen war großartig. Gleichzeitig ist durch die unterschiedlichen Beiträge ein erster Rahmen für das Spielfeld New Pay gesetzt worden.

Wie sieht dieser Rahmen genau aus und wie können Organisationen ihn nutzen?

Für Organisationen, die sich mit dem Thema genauer auseinandersetzen wollen, sind unserer Meinung nach vor allem acht Aspekte relevant:

  1. Partizipation: Mitarbeiter gestalten das Modell der Gehaltsfindung mit.
  2. Neues Leistungsverständnis: Alternative Anreize ersetzen starre Boni.
  3. Hierarchieunabhängige Gehaltsmodelle: Führung wird neu bewertet.
  4. Selbstbestimmung: Das eigene Gehalt lässt sich mitbestimmen.
  5. Gehältertransparenz: Offene Prozesse und/oder Gehaltssummen werden etabliert.
  6. Fairness: Die Organisation definiert für sich, was „gerechte Vergütung“ bedeutet.
  7. Zeit ist Geld: Freizeit und Flexibilität gehören zum Entgelt.
  8. Scheitern als Option: Das Gehaltsmodell ist permanent im „Beta-Modus“ und offen für Veränderung.

Wie diese Aspekte zeigen, ist das Thema „New Pay“ sehr vielschichtig.

Mit welchen Perspektiven beschäftigst Du dich darüber hinaus, wenn es um Anreiz- und Zielsysteme geht?

Für mich beginnt das Thema schon mit den Grundfragen: Was fördert Motivation und Leistung? An welcher Stelle sorgen Anreiz- und Zielsysteme eher für Minderleistung aus Sicht der Kund*innen? Oft zeigt sich, dass Anreiz- und Zielsysteme dann gut sind, wenn die Arbeit immer gleich ist — früher haben wir dazu Akkordarbeit gesagt — und wenn eine Planbarkeit über den Zeitraum der Zielvereinbarung hinaus gewährleistet ist.

Die meisten unserer Kund*innen beschäftigen sich ja mit der Frage, wie sie Zusammenarbeit und Organisation neu denken und gestalten können. Dabei spielen Anreiz- und Zielsysteme natürlich immer eine Rolle, weil sie in ihrer heutigen Gestalt Hürden für Verantwortungsübernahme und Entwicklung darstellen. Wie ist Deine Sicht hier?

Ich bin überzeugt, dass sich Anreiz- und Zielsysteme komplett verändern werden. Vielleicht fallen sie auch komplett weg. Wenn diese Entwicklung eintritt, dann werden sie durch Mitarbeiterbeteiligung im eigentlichen Sinne ersetzt: durch Anteile am Unternehmen. Diese begleiten die Mitarbeiter*innen noch stärker in Richtung Mitunternehmerschaft. Einige unsere Kund*innen gehen sogar noch weiter und setzen auf die Organisationsform der Genossenschaft, da diese viele der Grundsätze aus der New-Work-Diskussion in die DNA geschrieben hat.

Wir erleben immer wieder, dass lange Zeit ein großer Bogen um Veränderungen am Anreiz- und Zielsystem gemacht wird — oft aus der Sorge heraus, sich dort die Finger zu verbrennen. Worin siehst Du auf dem Weg zu neuen Anreiz- und Zielsystemen die größte Herausforderung?

Die Herausforderungen sind vielschichtig und ganz unterschiedlich. Für unser Buch zum Thema „New Pay“ haben wir zahlreiche Interviews geführt. Dabei kamen immer wieder zwei Punkte zur Sprache:

Erstens: der Glaubenssatz „Über Geld spricht man nicht!“ Wenn man in einem Lösungsraum denkt, geht es um Offenheit, Vertrauen und letztendlich um Transparenz. Diese Aspekte müssen in der Organisation auch an andere Stelle schon „eingeübt“ sein.

Zweitens: die sichtbare Ungerechtigkeit der aktuellen Vergütungsstrukturen. Oftmals fällt beim ersten Blick auf die Vergütung auf, dass diese nicht annähernd Kriterien von Fairness und Gerechtigkeit erfüllt. Wie auch immer man diese beiden schwer zu greifenden Begriffe definiert: Man muss sich Zeit nehmen, um hier im Vorfeld eine Anpassung vorzunehmen, bevor die Diskussion über etwas Neues beginnt.

Wieso sollten sich Entscheider*innen in Organisationen JETZT mit neuen Vergütungssystemen beschäftigen? Wie profitieren Unternehmen davon?

Die Vergütung ist ein extrem wichtiges Werkzeug für die Kulturarbeit und gleichzeitig ein Signal für die Mitarbeiter*innen, was in einer Organisation belohnt wird und was auch nicht. Werden Querdenker und unternehmerisches Denken honoriert oder wird Dienst nach Vorschrift vergütet? Das jeweilige Vergütungsmodell und seine Umsetzung setzt den Rahmen für das konkrete Handeln der Mitarbeiter*innen und bildet damit auch die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit der gesamten Organisation.

In unseren Projekten schaffen wir Räume, in denen Teams und Organisationen die für sie passendste Lösung gemeinsam erarbeiten: bereichs- und hierarchieübergreifend, co-kreativ und wertschätzend. Welche Erfahrungen hast Du damit gemacht, die Mitarbeiter*innen in die Diskussion zu neuen Anreiz- und Zielsystemen mit einzubinden?
Auch bei Anreiz- und Zielsystemen können die Mitarbeiter*innen wirkungsvoll eingebunden werden. Ein Vorreiter in diesem Aspekt ist die Firma Elobau (Zulieferer mit 1.000 Mitarbeiter*innen) aus dem Allgäu. Hier haben Mitarbeiter*innen der Produktion co-kreativ und mit agilen Methoden ihr einiges Vergütungsmodell erarbeitet und eingeführt. Ich bin überzeugt: Wir werden in den nächsten Jahren noch von diversen Unternehmen hören, die genau diesen Weg gehen. Mit ein paar Unternehmen sind wir diesbezüglich schon im Gespräch. Wer das Thema vertiefen möchte, kann das Beispiel Elobau und zehn weitere in unserem Buch New Pay ab dem kommenden Frühjahr nachlesen.

Welchen „weisen Rat“ würdest Du Menschen mit auf den Weg geben, die sich mit dem Thema in ihrer Organisation beschäftigen wollen?

Es sind folgende Aspekte, die ich besonders bedeutsam finde: Jedes Unternehmen benötigt eine individuelle Lösung. Kaufen Sie nichts von der Stange. Nutzen Sie die Erfahrungen und das Potential Ihrer Mitarbeiter*innen für die Entwicklung neuer Lösungen, die zu ihrem Unternehmen und den Mitarbeitern passen. Und: Nehmen Sie sich ausreichend Zeit für den Entwicklungsprozess wie auch die begleitende Kommunikation.

Du sprichst Aspekte an, die eigentlich für jede Form von Veränderung und Transformation gültig sind…

In der Tat — aber nur, wenn diese Aspekte berücksichtigt werden, wird das Vergütungsmodell zu einem echten Motivationsfaktor jenseits des Geldes!

Lieber Sven, herzlichen Dank für das Gespräch!