Blog · 01.10.2020

Von Spinnen lernen — Netzwerke in Organisationen

Von Spinnen lernen — Netzwerke in Organisationen

In komplexen und dynamischen Umfeldern setzen immer mehr Organisationen auf Netzwerke, um beweglicher, innovativer und kreativer zu werden. Doch Netzwerkarbeit für Organisationen ist extrem anspruchsvoll: Werden Netzwerke nicht mit Bedacht aufgebaut und gepflegt, drohen sie zu versanden. Wie man das ändern kann — und was das alles mit Spinnen zu tun hat — erläutern wir in diesem Beitrag.

Text: Michael J. Müller

Spinnen als Netzwerkexperten

Der Künstler Tomas Saraceno beobachtet mit forscherischem Interesse schon seit vielen Jahren Spinnen und ihre Netzwerkaktivitäten. Dabei genießen Spinnen nicht unbedingt einen guten Ruf: Viele Menschen fürchten sich vor diesen kleinen Tieren oder finden sie regelrecht abstoßend. Jedoch lohnt es sich, Spinnen und ihre Aktivitäten in und auf ihren Netzen näher in den Blick zu nehmen, denn wir können für die Netzwerkarbeit in Organisationen einiges von ihnen lernen. Für Saraceno sind Spinnen regelrechte Netzwerk-Expertinnen. Ihre Netze sind ihre Sinnesorgane: sie hören und fühlen über Impulse und Schwingungen zwischen den Kanten und Knoten im Netz. Mit diesem Sensorium nehmen sie Ihre Umwelt wahr und sind schnell in der Lage, auf Umweltveränderungen — wie zum Beispiel Wetterwechsel, veränderte Beute, putzende Menschen — zu reagieren und ihre Netze anzupassen, zu erweitern und umzustrukturieren. Das Ergebnis sind komplexe Netze ohne erkennbares Muster. Man könnte es auch so formulieren: Die Antwort der Spinnen auf komplexe Umwelten sind komplexe Netze. Für uns Organisationsberater*innen ist diese Betrachtung sehr spannend und hilfreich: Netzwerke reagieren auf Komplexität mit Komplexität.

Warum Unternehmen auf Netzwerke setzen

Diese Erkenntnis ist für Unternehmen relevant. In Zeiten von VUCA stellt sich für diese mehr und mehr die Frage, wie sie auf die sie umgebende Komplexität reagieren können. Mit einer verstärkten Netzwerkarbeit verbinden Organisationen die Hoffnung, beweglicher, innovativer und kreativer zu werden, um in dieser schwankenden, unsicheren und mehrdeutigen Welt handlungsfähig und erfolgreich zu sein. Stellt sich die Frage wie Organisationen diese Netzwerkarbeit gestalten können? Hierfür sind zwei Blickrichtungen notwendig:

  • Interorganisational - Netzwerke zwischen Organisationen: Durch eine Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Organisationen erhoffen sich die Netzwerkmitglieder Innovations- und Wettbewerbsvorteile, sie verfolgen Netzwerkarbeit als strategisches und unternehmerisches Ziel. Ein Beispiel für diese Form des Netzwerkens ist die Entwicklung des Smart aus einem Kooperationsnetzwerk bestehend aus der Hochschule der Bildenden Künste Kassel, Student*innen der Hochschule für Gestaltung Pforzheim, Swatch und Daimler.
  • Intraorganisational - Netzwerke innerhalb einer Organisation: Interne Vernetzung erhöht den Austausch von Wissen und Informationen in Organisationen. So kontaktieren sich Mitarbeiter*innen in Netzwerken gegenseitig, um Probleme zu lösen oder arbeiten im Netzwerk abteilungs- und hierarchieübergreifend zusammen. Synergien entstehen, Wissen und Informationen werden geteilt und nicht gehortet. Das nutzt der Organisation aber auch den einzelnen Mitarbeitenden. Durch interne Vernetzung entsteht eine Kultur des Lernens, in der jede*r Einzelne gefragt ist einen Beitrag zu leisten. Beispiele hierfür sind zum einen Führungsnetzwerke, LGBTQI+-Netzwerke und Mentorennetzwerke, aber auch aus dem agilen Kontext stammende Ansätze wie zum Beispiel Communities of Practices.

Netzwerken drohen zu versanden, wenn sie nicht nachhaltig aufgesetzt und gepflegt werden

Doch wodurch gelingt es, dass Netzwerke für Unternehmen Mehrwert bringen? Was gilt es bei Netzwerkaufbau und -pflege in Organisationen zu beachten? Jeder, der schon einmal Teil eines Netzwerkes war oder selbst eines initiiert hat weiß, dass diese mitunter sehr fragil sind und dass mit Netzwerkarbeit immer auch Arbeit und Ressourceneinsatz verbunden ist. Denn sonst drohen viele Netzwerke zu versanden, was sich durch sinkende Aktivitätslevels, schrumpfende Mitgliederzahlen und fehlenden Mehrwert für alle Teilnehmenden zeigt. Doch wie kann man das ändern? Wie können Netzwerke so gestaltet werden, dass sie stabil und langfristig wirksam sein können?

4 Faktoren für erfolgreiche Netzwerkarbeit

Wir von covolution setzen auf vier Faktoren für erfolgreiche Netzwerksarbeit. Diese dienen Organisationen sowohl als Richtschnur beim Aufbau als auch als Reflexionshilfe für bestehende Netzwerke.

4 Faktoren für erfolgreiche Netzwerkarbeit

1. Klarer Sinn und gemeinsame Zielsetzung

Ein eindeutiger Sinn sowie eine geteilte Zielvorstellung sind die Grundvoraussetzung für ein stabiles Netzwerk. Hierfür sind aus unserer Erfahrung vier Fragen essentiell:

  • Wofür gibt es das Netzwerk und welchen Nutzen schafft es für seine Mitglieder und für andere?
  • Wie gestalten die Mitglieder das Miteinander im Netzwerk?
  • Was macht das Netzwerk?
  • Wann ist das Netzwerk erfolgreich? Wann macht sich das Netzwerk selbst überflüssig?

Als Tipps für die Praxis empfehlen wir diese Fragen immer wieder mit den am Netzwerk beteiligten Akteuren zu diskutieren und die Antworten auf diese Fragen immer wieder neu zu schärfen. Dabei ist es wichtig deutlich zu machen, was die gemeinsame Zielsetzung konkret bedeutet: Dies kann durch eine Dokumentation von Vereinbarungen für das Netzwerk und einen stetigen Rückbezug auf die Zielsetzung sichtbar erfolgen.

2. Relevanz und Nutzen für die Mitglieder

Sowohl Teilnehmende am Netzwerk als auch die Inhalte, mit denen sich das Netzwerk beschäftigt, müssen für alle Mitglieder relevant sein und einen Nutzen bieten. Hierfür sind vier Aspekte zu betrachten:

  • Neuigkeit: Wird sichergestellt, dass immer wieder neue Impulse in das Netzwerk gelangen? Hierfür ist es wichtig, dass Beziehungen zu anderen Netzwerken gepflegt werden und Informationen fließen.
  • Gegenseitigkeit: Netzwerkarbeit ist immer Beziehungsarbeit. Wird in dem Netzwerk darauf geachtet, dass sich niemand benachteiligt fühlt? Werden in dem Netzwerk vertrauensvolle Beziehungen gepflegt?
  • Repräsentativität: Wird in dem Netzwerk darauf geachtet, dass alle relevanten Perspektiven vertreten sind?
  • Exklusivität: Ist klar, was das Besondere am Netzwerk ist und wie es sich von anderen Netzwerken abgrenzt?

Um diese vier Aspekte mit Leben zu füllen, empfiehlt es sich, Kompetenzen und Hintergründe der Netzwerkmitglieder transparent zu machen. Nur wenn ich weiß, wer was mitbringt oder welche Bedürfnisse Mitglieder haben, kann ich Unterstützung anbieten. Dabei ist es entscheidend, dass die Tauschgeschäfte im Netzwerk nicht primär nach dem Prinzip „Ich gebe, also nehme ich“ ablaufen, sondern vielmehr nach dem Prinzip „Ich gebe, weil ich mich einbringen kann und einen Beitrag leisten möchte“. Dadurch entstehen Vertrauen und Nutzen für alle.

3. Stabilität und Unabhängigkeit

Erfolgreiche Netzwerke bleiben auch dann stabil, wenn einzelne Personen das Netzwerk verlassen. Es ist ganz natürlich, dass Menschen gehen und andere hinzukommen. Um die Stabilität des Netzwerkes aufrecht zu erhalten, ist es wichtig, dass Netzwerke unabhängig von einzelnen Personen sind. Diese Unabhängigkeit lässt sich mit vier Fragen prüfen:

  • Wie ist die formale Struktur des Netzwerkes? Ist es eher selbstgesteuert oder hierarchisch aufgestellt?
  • Wie fängt das Netzwerk das Verlassen von Mitgliedern auf? Wie regeneriert sich das Netzwerk?
  • Wie reagiert das Netzwerk auf Irritationen von außen?
  • Wie passt sich das Netzwerk an und integriert neue Inhalte und Personen? Wie bleibt die Ausrichtung stabil?

Um dem Netzwerk Stabilität und Unabhängigkeit zu ermöglichen, sind Netzwerkverstärker hilfreich. Darunter verstehen wir regelmäßige Anlässe in Form von Veranstaltungen, Impulsen oder Terminen, bei denen das Netzwerk sichtbar wird.

4. Verantwortung und Engagement

Netzwerke überleben nur dann, wenn die Mitglieder Verantwortung für den Fortbestand übernehmen. Dieser Erfolgsfaktor scheint vielleicht sehr naheliegend und gleichzeitig wird er oft nicht beachtet. Aus unserer Erfahrung ist ein engagiertes Miteinander im Netzwerk der Erfolgsfaktor. Hierfür gibt es einige hilfreiche Spielregeln:

  • Die Mitgliedschaft im Netzwerk muss freiwillig sein, nur dann zeigen die Mitglieder wirklich Interesse sich einzubringen.
  • Das Netzwerk muss ein sicherer Ort sein. Gemeinsame und individuelle Weiterentwicklung gelingt nur durch Authentizität und Wertschätzung.
  • Es muss transparent sein, was das Netzwerk an Ressourcen, Wissen und Zeit erfordert und wer welchen Beitrag zum Gelingen des Netzwerks leistet.
  • Die Mitglieder engagieren sich im Netzwerk, weil sie einen Beitrag leisten möchten. Dieser kann unterschiedlich sein, aber es ist wichtig, dass alle Mitglieder mitgestalten.

Wir empfehlen, diese und weitere netzwerkspezifische Spielregeln bei der Netzwerk-Initialisierung gemeinsam zu vereinbaren.

Zurück ins Spinnennetz

Diese Erfolgsfaktoren sind nicht als Checkliste zu verstehen, die abzuarbeiten ist. Je nach Netzwerk sind manche Erfolgsfaktoren in bestimmten Stadien der Netzwerkarbeit relevanter als andere. Entscheidend ist es – ähnlich der Spinne – diese Erfolgsfaktoren als Sensorium für die Netzwerkarbeit in Organisationen auszubauen und zu pflegen. Netzwerke sind organische Gebilde, die sich kontinuierlich weiterentwickeln.


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